Der Katholische Burschenverein 1746 eV
Hallenberg. 1746. Die Schotten verlieren einen blutigen Krieg gegen die Engländer um ihre Unabhängigkeit und die Macht in Großbritannien – ein Ereignis, von dem Historiker vermuten, dass die Weltgeschichte bei einem Sieg heute anders aussähe. Im über 1000 Meilen entfernten Hallenberg geschieht gleichzeitig etwas, das zwar nicht die Weltgeschichte, aber sehr wohl die Historie der Stadt bis heute prägt: Einige junge Männer kaufen im Jahr 1746 für 30 Reichstaler eine Fahne und dokumentieren dies. Es ist der erste Nachweis über den „Katholischen Burschenverein Hallenberg 1746“, wie Stadtarchivar Georg Glade in seiner Chronik zum Verein schreibt.
Wahrscheinlich gab es den Verein schon deutlicher länger, aber auch mit diesem Nachweis ist er älteste in der Stadt und gleichzeitig einer der jüngsten in seiner Mitgliederstruktur. Mit 16 Jahren dürfen die Hallenberger jungen Männer am Palmsonntag in den Verein eintreten und in der folgenden Karwoche zum ersten Mal die ganz besonderen Osterbräuche mitgestalten, allen voran das Osterfeuer und den in Deutschland einzigartigen Osternachts-Umzug. Die Burschen sollen sich mit den katholischen Zielen des Vereins identifizieren, können aber auch eine andere oder keine Konfession haben.
Nachwuchssorgen kennt der Burschenverein nicht. Rund 190 Mitglieder hat er derzeit. Die Mitgliedschaft endet bei den meisten durch ihre Hochzeit. Für die Burschen ist ihr Verein Ehrensache: „Bei den meisten von uns waren die Väter und Großväter schon im Burschenverein und haben die gleichen Dinge erlebt.“ Der Vorstand um den Burschenoberst wechselt recht häufig. Das ist kein Zeichen von Misstrauen oder Unlust, sondern so gewollt. So haben viele Mitglieder die Gelegenheit, erste Verantwortung für einen Verein zu übernehmen, zudem können sich keine Strukturen festfahren, lautet die Begründung.
Trotz der sehr traditionellen Termine ist der Burschenverein aber ganz und gar kein altbackener, rückwärtsgerichteter Zusammenschluss. Im Jahreskalender tauchen auch sehr weltliche und gesellige Anlässe wie das Dreikönigskegeln, der Burschenkarneval mit seiner anarchischen Sitzung, der schon seit über 60 Jahren gefeiert wird, oder die beliebte Burschenfahrt auf. Wenn es in Hallenberg etwas anzupacken gibt, sind die Burschen ebenfalls zur Stelle.
Kultureller Motor
Es gab Zeiten, in denen der Burschenverein Dreh- und Angelpunkt der Freizeitgestaltung für die jungen Männer war und erheblich zum kulturellen Leben der Nuhnestadt beitrug. Ein besonderer Schwerpunkt waren Theaterspiele, aus denen 1946 die Freilichtbühne als eigener Verein hervorgegangen ist. 1912 bildeten einige Burschen ein Trommlercorps, das die damals gerade zehn Jahre alte Stadtkapelle unterstützte. 1913 wurde eine Turnabteilung eingerichtet und kooperierte mit dem 1911 gegründeten SuS Hallenberg, dem heutigen FC Nuhnetal. Auch eine Gesangsabteilung hatten die Burschen in den 30er Jahren. In den Wintermonaten fanden regelmäßige Vorträge und Filmvorführungen zu wissenschaftlichen, religiösen und
gesellschaftlichen Themen statt, sogar eigene Skimeisterschaften gab es. Zwischen 1946 und 1954 wurden Meisterkurse in Kooperation mit der Handwerkskammer angeboten.
Ende der 40er Jahre waren die Aufbruchsstimmung und das Zusammengehörigkeitsgefühl nach dem verheerenden Zweiten Weltkrieg, in dem 47 Burschen umkamen, so groß, dass ein eigenes Vereinshaus mit Theaterbühne, Orchesterraum, einem Saal für 450 Personden, Kegelbahn und einer Dreizimmerwohnung gebaut werden sollte. Die Ausschachtarbeiten hatten bereits begonnen, doch dann sahen die Burschen ein, dass ein solches Projekt nicht zunstemmen war.
Legendär waren auch über Jahrzehnte die Waldsportfeste und Wiesenhauermeisterschaften der ehemaligen Burschenobersten. Dass den Hallenberger Burschen ihre Fahnen schon immer sehr wichtig waren, zeigt ein Blick in die Chronik: Jede der bislang acht Neuanschaffungen war ein gewaltiger finanzieller Kraftakt, der mit großem persönlichen Einsatz, Kreativität und Spenden gestemmt wurde. Zwischenzeitlich gewährten sie sogar Darlehen mit einem Jahreszins von 5 % und wurden damit zum ersten
Kreditinstitut der Stadt, bis 1898 die Sparkasse Hallenberg eröffnete.
Der hohe Stellenwert des Vereinseigentums wurde auch im Dritten Reich deutlich: Die Nazis übten immer mehr Druck auf katholische Vereine aus und verboten diese schließlich 1937, so dass einige Burschen ihre 1925 neu geweihte Fahne, ihre Burschentrommel und die wertvollen alten Protokollbücher unter Lebensgefahr vor der Gestapo versteckten. Im Januar 2013 überstand diese Fahne den Brand des Hallenberger Rathauses. Die jüngste und achte dokumentierte Fahne der Vereinsgeschichte ist 2018 nach langem Sparen und mit großzügigen Spenden aus der Hallenberger Bevölkerung angeschafft worden.
Die Burschenfahne
Die Burschenfahne gilt neben der Burschentrommel, die in der Osternacht den Ton angibt, schon immer als das Symbol der Burschen.
2016 haben sich die Burschen das Ziel gesetzt, auf eine neue und damit die achte Fahne in ihrer Historie seit 1746 zu sparen. Die bisherige Fahne war so verschlissen, dass sie nicht mehr repariert werden konnte. 9000 Euro sollte eine solche aufwändig bestickte und genähte Fahne kosten. Die Burschen griffen tief in die eigene Tasche, außerdem beteiligten sich zahlreiche
Firmen und Privatleute – von denen viele selber früher im Burschenverein waren – mit großzügigen Spenden an der Finanzierung.
Dass den Hallenberger Burschen ihre Fahne schon immer sehr wichtig war, zeigt ein Blick in die Chronik: 1746 tauchte die erste urkundliche Erwähnung des Vereins überhaupt auf – der Kauf einer Fahne für stattliche 30 Taler. Zum Vergleich: Ein Haus mit Garten kostete damals rund 100 Taler. Von 1824 bis 1875 wurden vier weitere Fahnen angeschafft, die Finanzierung war jedes Mal
ein Kraftakt. Hallenberger Einwohner gaben Privatkredite, die die Burschen abstotterten – darunter Maria Anna Pauly, der die Burschen als Gegenleistung versprachen, sie mit Fahnenbegleitung zu Grabe tragen. Als 1864 die sogenannte „Aloysius-Fahne“ (benannt nach dem Schutzpatron der Jugend und gleichzeitig dem Vereinspatron der Burschen) und 1875 eine Marienfahne bestellt wurden, griffen die Vereinsmitglieder eine findige Idee aus ihrer Geschichte wieder auf: Sie gewährten Darlehen mit einem Jahreszins von 5 % und wurden damit zum ersten Kreditinstitut der Nuhnestadt. Zwischenzeitlich stellten die Zinsgewinne sogar die größte Einnahmeposition noch vor den Mitgliedsbeiträgen dar. Die Kreditgeschäfte kamen erst zum Erliegen, als 1898 die Sparkasse Hallenberg eröffnete.
Die Burschenfahnen waren – wie heute auch noch – stets bei Prozessionen, Beerdigungen oder den Osterumzügen dabei. Im Jahr 1909 kam es jedoch zu einem Fahnenstreik: Die Burschen forderten mehr Vereinsleben, ansonsten würden sie die Fahnen stecken lassen. Diese Drohung zogen sie so eindrücklich durch, dass der damalige Kaplan Wiggen gemeinsam mit den
Burschen ein Reformprogramm umsetzte, das über Jahrzehnte erheblich zum kulturellen Leben in Hallenberg beitrug. So wurden regelmäßig gesellige Abende und Vorträge abgehalten. Von 1946 bis 1954 fanden sogar drei Meisterkurse mit der Handwerkskammer statt. 1912 bildeten einige Burschen ein Trommlercorps, das die 10 Jahre zuvor gegründete Stadtkapelle oder die
Feuerwehr unterstützte. 1913 wurde eine Turnabteilung eingerichtet und kooperierte mit dem 1911 gegründeten Fußballverein SuS Hallenberg (dem heutigen FC Nuhnetal). Auch eine Gesangsabteilung hatten die Burschen in den 30er Jahren.
Doch zurück zu den Fahnen: 1925 wurde die Vorgängerin der neuen Fahne mit dem auf blauen Samt gestickten Aloysius und einer Rückseite aus gelber Seide für 950 Mark in Auftrag gegeben – so kurz nach dem Ersten Weltkrieg eine immense Ausgabe für die Burschen. Sie schafften es, das Geld über Jahre mit Theateraufführungen einzuspielen. Denn auch das Theater spielt eine wichtige Rolle in der Vereinsgeschichte, die bekannte Freilichtbühne ist hieraus entstanden. Wie sehr die Burschen an ihrer Fahne hingen, wurde wenige Jahre später deutlich: Als die Nazis immer mehr Druck auf katholische Vereine ausübten, übereigneten die Buschen 1935 ihren gesamten Besitz der Kirchengemeinde, um ihn vor dem Zugriff der braunen Machthaber zu retten. Im noch existierenden Übergabeprotokoll sind u.a. auch zwei alte Fahnen aufgeführt, deren Spur sich danach jedoch verliert. Das Vereinsleben wurde trotz Repressalien aufrechterhalten. Als im Juli 1937 die Anordnung von der Gestapo kam, den „katholischen Jungmännerverband der Erzdiözese Paderborn“, dem die Burschen sich zwischenzeitlich angeschlossen hatten, aufzulösen und sein Vermögen einzuziehen, ließ der Burschenvorstand
unter persönlicher Gefahr die alten Protokollbücher mit der Satzung von 1773, die vermutlich aus dem Jahr 1667 stammende Burschentrommel sowie seine Fahne verschwinden, indem sie sie in einer Milchkanne vergruben. Diese geschichtsträchtigen Zeitzeugnisse sind somit durch die Zivilcourage der Burschen bis heute erhalten geblieben.
Mittlerweile 100 Jahre lang hat die Fahne von 1925 die Burschen somit durch alle Höhen und Tiefen begleitet. Ende der 60er Jahre bekam sie eine neue Seidenrückseite im Stil dieser Zeit. 2013 wurde sie aus dem brennenden Rathaus gerettet und wird auch weiterhin hoch in Ehren gehalten.
Die Verbundenheit zu ihr zeigt sich auch daran, dass auf einer Seite der neuen Fahne das alte Aloysius-Motiv originalgetreu neben der St. Heribertkirche auf dunkelroten Samt gestickt worden ist. Auf der anderen Seite sind auf blauem Samt die wichtigsten Stationen der Burschen im
Laufe des Jahres abgebildet: der Bau des Osterfeuers, die Osternacht und die Errichtung des Festaltars zum Muttergottestag.
Zu wünschen ist der neuen Fahne nun, dass sie lange hält und dass die guten Zeiten im Burschenverein die traurigen oder aufregenden bei weitem überwiegen mögen. Denn wie sagen die Burschen: „Sie ist viel mehr als eine Fahne, sie steht für das Leben und die Traditionen in unserem Burschenverein.“
Die Burschentrommel
Sie ist einer der ältesten Gegenstände im Hallenberger Stadtarchiv und sehr typisch für die Hallenberger Geschichte: Die Rede ist von der ersten Burschentrommel, die knappe 400 Jahre alt sein dürfte. Genannt wird sie in den Stadtbüchern zum ersten Mal am 1. Juni 1667, damals hatten „Bürgermeister und (Rats)herren der jungen Gesellen Trom“ reparieren lassen – demnach gab es sie also vorher schon. Sie war danach noch genau 300 weitere Jahre beim Kath. Burschenverein 1746 eV im Einsatz, erst 1968 wurde eine neue und ähnlich aussehende Trommel angeschafft.
Die Landknechtstrommel ist das Symbol schlechthin für den Burschenverein und die Hallenberger Osternacht. Sie gibt den Rhythmus vor, in dem entweder die hölzernen Rasseln geschwungen oder die metallenen Krachinstrumente geschlagen werden. Auf dem ledernen, geflickten Trommelfell sind verblichene Blutspuren zu sehen, denn die Burschen hauen sich in
der Osternacht bei den rasend schnellen Schlägen regelmäßig die Finger an den Trommelrändern wund. Der Rahmen besteht aus mehreren Schichten Holz, die mit Seilen stramm verspannt sind. Die Erwähnung der Trommel im Jahr 1667 könnte ein Indiz dafür sein, dass es in den mittelalterlichen Schützengilden, die ihre Städte verteidigen sollten und für die es in Hallenberg 1510 einen Nachweis gibt, eine Unterteilung in Altschützen und Junggesellen gegeben hat. Aus dieser Junggesellenkompanie könnte wiederum der Burschenverein entstanden sein. Eindeutig bewiesen ist das nicht, daher gilt die Anschaffung einer neuen Fahne 1746 als erste offizielle Erwähnung des Burschenvereins – 79 Jahre nach der Nennung der
altehrwürdigen Burschentrommel.
Text: Rita Maurer